An der Bunkermauer erschossen
Nadja Potemkinas Weg nach Siegen ohne Wiederkehr

Kurz nach der Besetzung der Ukraine im Jahre 1941/42 wurden von den deutschen Besatzungsbehörden wahllos Menschen aufgegriffen und anschließend in geschlossenen Güterwaggons nach Deutschland transportiert. Man versprach ihren Arbeit und Freiheit und damit ein neues anderes Leben. Viele glaubten daran. In Deutschland amgekommen, verschwand diese Vorstellung abrupt; denn hinter dem Stacheldraht eines primitiven und menschenunwürdig eingerichteten Barackenlagers sah man sich wieder. Abgesehen von einigen priviligierten Zwangsarbeitern, wurden alle mit dem Stoffabzeichen "OST" auf der Oberbekleidung "gebrandmarkt". Das Abzeichen, das auf blauem Stoff die weiße Inschrift "OST" trug, konnte nicht übersehen werden.
Unter diesen verschleppten und betrogenen Menschen befand sich auch die junge Ukrainerin Nadja Potemkina, deren Weg von Kiew nach Siegen führte. Ein liebes und ansehnliches Mädchen, das schließlich als Reinigungskraft im damaligen Hauptbefehlsbunker für Siegen, dem Bunker "Kaisergarten", eingesetzt wurde.

Ein Zeitzeuge, der im Bunker Kurierdienst verrichtet, erbarmte sich täglich des Mädchens, indem er ihr jeden Morgen ein Butterbrot, versteck unter einem Ärmel seines Pullovers, mitbrachte. Es passierte, daß Nadja Potemkina bei Putzarbeiten im Bunker unglücklicherweise mit ihrem Schrubber an zwei Einmachgläser stieß, die einem stets hungrigen "Befehlsausübenden" gehörten und die er unter einer Bank versteckt hielt
Die Gläser gingen zu Bruch, der Inhalt lief aus und Nadja überkam wieder die ganz große Angst vor dem Erschießen. Indessen geschah dies nicht, zumal der Zeitzeuge Scherben und den Inhalt schnell beseitigete. Todesangst also wegen zwei zerbrostenen Einmachgläsern! Nadja meinte, sie sei noch eimal davongekommen.
Davonkommen sollte sie nicht, als im November 1944 ausländische Zwangsarbeiter ohne Grund festgenommen, abgeführt und an der Bunkerwand des Bunkers "Kaisergarten" blindlings erschossen wurden. Bei diesem Massaker war auch Nadja dabei. Sie wurde mit anderen Unglücklichen ein Opfer der angeordneten Massenerschießungen im Jahre 1944/45, weil die Nazis Gewalttaten, Aufstände und Plünderungen durch Ausländer erwarteten. Sie sind, zumindest in Siegen, bis zum Kriegende nie eingetreten. Nadja Potemkina ruht auf dem kleinen Friedhof am Seilereiweg in der Fludersbach. der Grabstein nennt karge persönliche Daten, ihr Schicksal indessen nicht. Herbst 1944 - Frühjahr 1994; Fast eine Ewigkeit und doch kein Vergessen
                                                                    Hans Klappert



Nadja Potemkinas Grab auf dem russischen Friedhof am Seilerweg in der Fludersbach

Abschrift
Frühjahr 1994

Amtliches Kreisblatt für Siegen-Wittgenstein, Altenkirchen und Olpe
 

 

© Foto: Patrick Meier
© Bericht: Siegener Zeitung
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